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Detailwahrnehmung

  • 20. April 202520. April 2025
  • von Anne Burgmer

Ein Aspekt der autistischen Wahrnehmung, der regelmässig benannt wird, ist die Detailwahrnehmung. Während es Zeit benötigt, das grosse Gesamtbild zu verstehen, werden Details sofort erfasst.

Stimmt. In Selbstbedienungsrestaurants brauche ich normalerweise ein bis zwei Minuten, bis ich verstanden habe, wo was ist. Meine Welt ist z. B. auch voller Büroklammern oder Stecknadeln, die am Boden liegen – es ist mir in der Regel unmöglich, sie zu übersehen. Erst im zweiten Guckanlauf realisiere ich dann, wo in einem Raum der Stuhl steht, auf den ich mich setzen soll.

Beim Beispiel Selbstbedienungsrestaurants haben jetzt viele vielleicht gedacht: «Kenne ich auch»*. Bei den Büroklammern hat die eine oder der andere vielleicht geschmunzelt; ist ja auch irgendwie lustig. Anstrengend (und peinlich) wird es, wenn es um Gesichter geht.

Meine Unfähigkeit, Gesichter als Ganzes wahrzunehmen und abzuspeichern, löst regelmässig Stress aus. Jüngstes Beispiel: Im «Drämmli» sitzt Jemand (=aktuelle Person), der/die einer mir bekannten Person in Einzelaspekten des Gesichts sehr ähnlich sieht. Das Gesamtgesicht stimmt zwar nicht, aber bevor ich zu diesem Ergebnis komme, passiert immer wirklich immer folgende Operation**:

Bekannte Person = BP — Aktuelle Person = AP

(BP lebt/arbeitet an Ort ≠ mein Wohn-/Aufenthaltsort) + (BP hätte mich erkannt und gelächelt [was AP nicht tut]) + (alle Einzelteile Gesicht AP recht sicher ≠ Gesamtgesicht BP) = hohe Wahrscheinlichkeit, dass AP ≠ BP

Alles klar?

(In diesem Fall war es fast einfach, da BP wirklich ganz woanders lebt/arbeitet. Dennoch hat dieser Abgleich zwei Stationen Weg benötigt und 100 Prozent sicher war ich dennoch nicht.)

Faktoren, die den Prozess erschweren:

  • Die Person sitzt. (Bei Personen in Bewegung kann ich zusätzlich den Bewegungsablauf auf Ähnlichkeiten abchecken. Das erhöht die Sicherheit im Ergebnis.)
  • BP lebt/arbeitet in der Region/Stadt. (Je näher der reguläre Arbeits-/Aufenthaltsort der BP an meinem regulären Arbeits-/Aufenthaltsort ist, desto unsicherer werde ich, wenn jemand BP ähnlich sieht.)
  • BP ist mir nur flüchtig bekannt und hat Frisur, Haarfarbe oder Brille gewechselt. (Es gibt Personen, die ich so gut kenne [oder deren Einzelaspekte im Gesicht sehr speziell sind], dass ich sie zuverlässig erkenne, selbst wenn ich sehe, dass Frisur/Brille sich geändert haben.)

In der Vergangenheit hat das mehr als einmal dazu geführt, dass ich Menschen, die von mir zurecht erwarten konnten, dass ich sie eindeutig benennen kann, mit grosser Überzeugung mit falschem Namen angesprochen habe. Mein Irrtum wurde mir erst durch die irritierte Reaktion des Gegenübers klar.

Und so anstrengend folgendes auch ist, so sehr fasziniert es mich***: Wenn ich in grossen Menschengruppen laufe (z. B. Berufsverkehr auf der Passerelle am Basler SBB) springen mir in irrsinnigem Tempo permanent Ähnlichkeiten aus den Gesichtern entgegen. D. h. ich «treffe» in kürzester Zeit «Freunde/Verwandte/Bekannte».

was die *** bedeuten:

*Menschen ohne autistische Wahrnehmung gehen dann normalerweise langsam weiter und orientieren sich im Laufen. Ich stehe die ein bis zwei Minuten oft wie festgefroren und muss als erstes mein Stresslevel aufgrund der tausend Details in den Griff bekommen. DANN kann ich anfangen, den Prozess des Raumes zu verstehen.

**Die Energie, die dabei verbraucht wird, fehlt mir dann an anderer Stelle.

***Auch auf spirituelle Weise: Wenn in einem anderen die Ähnlichkeit zu einer befreundeten oder verwandten Person sichtbar wird, ist eine grössere Grundoffenheit da.

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